Es ist schön, dass im Kopf von Sascha Lobo die Gedanken nun die Richtung gewechselt haben, dass der unbegrenzte Internet-Enthusiasmus einer differenzierteren Betrachtungsweise gewichen ist.
Stefan Betschon ⋅ Der Kopf des Menschen, so sagte Albert Einstein, sei rund, damit die Gedanken hin und wieder ihre Richtung ändern könnten. Der Kopf von Sascha Lobo ist kahl rasiert und mit einem schmalen Streifen rotgefärbter Haare dekoriert. Der deutsche Blogger beschreibt seinen Job als «Internetaufklärer». Doch nun muss er sich eingestehen: «Das Internet ist nicht das, wofür ich es gehalten habe.»
Das Internet habe sich gegen ihn gewendet, er fühle sich gekränkt, schreibt Lobo in einem Beitrag für die Sonntagsausgabe der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Anlass für die Selbstkritik sind die Enthüllungen Edward Snowdens, die Erkenntnis, dass die Geheimdienste das Internet unterwandert hätten. Die Versprechungen des Internets, so Lobo, die «Demokratisierung, soziale Vernetzung, die Utopie einer besseren Welt», hätten sich als leer erwiesen. «Was so viele für ein Instrument der Freiheit hielten, wird aufs Effektivste für das exakte Gegenteil benutzt.» Zerknirscht muss sich Lobo eingestehen: «Ich habe mich geirrt, und zwar auf die für Experten ungünstigste Art, also durch Naivität.»
Es ist schön, dass im Kopf von Sascha Lobo die Gedanken nun die Richtung gewechselt haben, dass der unbegrenzte Internet-Enthusiasmus einer differenzierteren Betrachtungsweise gewichen ist. Nicht das Internet ist kaputt, wie Lobo schreibt, sondern der naive Internet-Enthusiasmus. Es war für die «Netzgemeinde», wie Lobo den Klub der Internet-Enthusiasten nennt, selbstverständlich, dass mit jedem zusätzlichen Internet-Anschluss die Welt besser würde. Gebt den Unterdrückten, Hungernden einen Twitter-Account, einen Blog, und alles wird gut! Dieses Credo der Blogger beherrschte während Jahren das Nachdenken über das Internet. Und jeder, der zu widersprechen wagte, musste sich als Ewiggestriger, als Schallplattenverkäufer, Print-Journalist, als Verlierer abkanzeln lassen.
Ganz unbescheiden erklärt Lobo seinen Irrtum zu einem Menschheitsproblem. Er setzt sich auf eine Stufe mit Kopernikus, Darwin und Freud und vergleicht die «digitale Kränkung» mit den Gefühlen, die Menschen empfanden, als sie entdecken mussten, dass sie nicht im Zentrum des Weltalls leben, nicht von der Evolution ausgenommen sind, sich selbst nicht kennen.
Doch die «digitale Kränkung» ist in der Mediengeschichte keine singuläre Erscheinung. Noch jedes neue Medium weckte Hoffnungen auf eine bessere Welt. «Denket daran», so mahnte Einstein 1930 in einer Rede in Berlin, «dass die Techniker es sind, die erst wahre Demokratie möglich machen.» Der Rundfunk, dieses «wunderbare Werkzeug der Mitteilung», werde die Völker versöhnen. Das Radio wurde dann rasch populär, doch es brachte keine Wende zum Guten.
Quelle NZZ: http://www.nzz.ch/aktuell/digital/ist-das-internet-kaputt-1.18222195
Wie alles was der Mensch tut, es kann sich gegen ihn wenden.